Zeitungsausriss
Für all jene, die in irgendeiner Form ihre Zeit planen müssen, brachte kürzlich der Tages-Anzeiger einen lesenswerten Artikel, der seltsamerweise in der Rubrik Analyse im ersten Bund platziert war. Unter dem Titel «Wertvolle Gedächtniskrücke» huldigte der Autor Martin Halter der Papieragenda. Einzelne Argumente waren zwar aus der Luft gegriffen oder nicht nachvollziehbar – so braucht unser Sohn bestimmt keine Agenda und eine aus Papier würde er über kurz oder lang nicht mehr finden, während Halter behauptet: «… brauchen alle eine, selbst der Viertklässler für die Ferientermine.» Und im Satz «Frauen geben für eine lavendelfarbene Monogram Canvas von Louis Vuitton (‹schöner als ein iPhone›) ein Vermögen aus» verstehe ich gleich zwei Dinge nicht, nämlich das mit dem iPhone und das mit der Lavendelfarbe, die ich bei Louis V. partout für dieses Modell nicht finden konnte. Vielleicht liegt das daran, dass ich männlich bin? Oder am unmöglichen Flash-Shop? Für das Apfel-Phone gibt es hingegen definitiv eine genügend grosse Hüllen-Auswahl, so dass jeder und jede es nach dem persönlichen Geschmack verunstalten kann.
Zuverlässiges Statussymbol aus Papier
Die Schwächen des Artikels wurden aber mehr als wettgemacht durch Interessantes und gut Formuliertes, darunter die Einleitung und der Querverweis auf das Agenda-Setting: «Die Kunst, Themen auf die Tagesordnung der Geschichte zu setzen, nennen wir Agenda-Setting.» sowie die augenfälligen Argumente für die Papier-Agenda: «Ein speckiger, wuchtiger, analoger Organizer, von Hand vollgekritzelt und mit bunten Post-it-Zetteln beklebt, macht einfach mehr her als jede noch so schicke digitale Erinnerungsmaschine. Ausserdem ist er diskreter, übersichtlicher (für den Besitzer), lässiger und zuverlässiger.» Autsch! Das mit der Zuverlässigkeit trifft iPhone-Besitzer, die von ihrem Alleskönnergerät am ersten, zweiten oder dritten Januar 2011 wegen eines Softwarefehlers nicht geweckt wurden, natürlich in einem wunden Punkt. Zwar weckt die Papieragenda auch nicht, aber von ihr erwartet es auch niemand. Die Gefahr der digitalen Organizer ist ja eben, dass so viel versprochen wird, und dass entsprechend viel schief laufen kann. Vieles ist und bleibt aber Geschmacksache oder eine Frage des persönlichen Stils, von Neigungen, Stärken und Schwächen der Persönlichkeit. Für die einen ist ein Backup wichtig, für andere die Prägung auf dem Umschlag, für wieder andere die Weckfunktion.