Wer sozial ist

Da war dieses Gedicht von Wilhelm Busch. Am 23. Mai 2012 in unserer Zeitung. Unter dem Titel «Wer einsam ist». Und es hat mich zu einem Gegengedicht inspiriert; zu einer verspäteten Antwort, sozusagen. Denn Obwol der Herr Busch von 1832 bis 1908 gelebt und von Social Media garantiert nie etwas gehört hat, sehe ich da einen Bezug. Hier nun erst mein neues Werk, darunter dann die Vorlage.

Wer sozial ist

Der soziale Mensch hat’s gut,
weil mancher ihm was Gutes tut,
ihn stützt in seinen Interessen,
sei’s Technik, Kunst vielleicht auch Essen.
Und manche geben weise Lehren,
die gut gemeint und nett zu hören.
Der Welt verbunden geht er still –
in Filzpantoffeln, wenn er will –
zuhaus’ und im Kontor gesetzt,
ist er den ganzen Tag vernetzt.
Auch unterwegs kann er verhandeln,
bequem mit Frau und Mann anbandeln.
Den Job und’s Leben trennt er nicht,
der Mensch ist ganz – und ganz bei sich.
Gefolgt von treuen Zeitgenossen,
gibt man sich Tipps zum Hosenflicken,
zu Songs oder zu Taucherflossen,
trifft Leute, die ganz ähnlich ticken,
hilft anderen, die Zeit zu töten,
berät und stützt sie, falls in Nöten.
Und wer nicht mit dem Knigge bricht,
den ignorieren Freunde nicht.
Wer offline ist, der könnte fragen:
Was, lebt er noch? Doch nicht verzagen,
man kann es via Handy klagen.
Zusammenfassend darf man sagen:
Man kann das Glück auch anders malen,
und es hilft nicht beim Steuernzahlen,
doch gilt, was auf Erfahrung ruht:
Wer sozial ist, hat es gut.

***

Und nun also das Original von Wilhelm Busch, wobei der Tagi wohl den Titel und die Schreibung modernisiert hat – ich zitiere die Tagi-Version. Eine Websuche fördert das Gedicht, u.a. bei Wikisource, unter dem Titel «Der Einsame» zu Tage.

Wer einsam ist

Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
und niemand gibt ihm weise Lehren,
die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
in Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
um angenehm die Zeit zu töten,
und laut und kräftig darf er prusten,
und ohne Rücksicht darf er husten,
und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
lässt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.

***

Der Tages-Anzeiger macht das mit den Gedichten übrigens in letzter Zeit regelmässig. Und auch wenn das vielleicht nur ein Trick ist, guten Content gratis zu bekommen, weil das Copyright schon abgelaufen ist – irgendwie gefällt mir das.

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