Rhetorik à la Maschmeyer: doppelte Verneinung heisst nicht Ja

Artikel vom 27.1.2011 im Tages-Anzeiger

Grösser? Klick.

Carsten Maschmeyer, AWD-Gründer und heutiger Verwaltungsrat von Swiss Life, lässt offenbar seine Anwälte das Gebaren von Journalisten untersuchen, die kritisch über ihn berichtet haben. Insbesondere traf dies auf Mitarbeitende des Norddeutschen Rundfunks NDR zu. In einer Stellungnahme zum Vorgehen liess Maschmeyer dem Tages-Anzeiger zufolge verlauten:

«Mit einer Strafanzeige sei ausdrücklich nicht gedroht, sondern ganz im Gegenteil erklärt worden, dass eine solche nicht erstattet werde, wenn der Gutachter zum Ergebnis komme, dass die NDR-Mitarbeiter sich nicht strafbar gemacht hätten.»*

Na bravo! Von diesem Vorgehen und dieser Argumentation könnten sich Räuber und Erpresser noch eine Scheibe abschneiden.

Was, wenn die Maschmeyer-Masche Schule macht?

Plumpe Drohungen wie «Gib mir dein Geld oder ich bringe dich um!» sind heute nicht mehr zeitgemäss, schliesslich geht es, wie Figura zeigt, auch ganz ohne zu drohen. Zum Beispiel mit einer höflichen Erklärung: «Wenn du mir dein Geld gibst, bringe ich dich nicht um». Oder positiv formuliert: «Gib mir dein Geld und ich lasse dich leben». Oder gar als freundliche Frage: «Möchtest du meine Pistole aus der Nähe sehen, oder willst du mir Geld schenken?»

Da gerät die Anklage dann in Argumentationsnot, wenn Verdächtige guten Gewissens darauf bestehen können, dass sie nie gedroht hätten, sondern lediglich erklärt, erläutert, auf etwas hingewiesen oder bestenfalls zu einer Geldübergabe motiviert. Denken wir noch einen Schritt weiter und treiben diesen Euphemismus auf die Spitze: Man könnte sogar argumentieren, die vermeintlichen Opfer seien über lebensverlängernde Massnahmen beraten worden. So ergibt sich ein neues Stellenprofil: Genügend Sprachkompetenz vorausgesetzt, wird aus dem Verbrecher ein gut honorierter Gesundheitsberater. Wem nun Parallelen zum Stellenprofil oder zur Rhetorik anderer beratender Berufe einfallen, sei es Immobilienagentin, Arzt, Pressesprecherin, Versicherungs- oder Anlageberater, dem sei hiermit deutlich gesagt: So etwas habe ich nie geschrieben! Ich habe höchstens nicht das Gegenteil behauptet.

* Quelle: Tages-Anzeiger vom 27.1.2011, Seite 41 – Autor: David Nauer

Übrigens: Es heisst «der App…

… bzw. «l’App». Installiert auf einem schwarzen Schneidbrett mit elegant gerundeten Kanten präsentiert sich gluschtig ein Stück, das kürzlich vom Grill heruntergeladen wurde. Die Anzeige ist ein Fundstück aus der Rubrik «Online» in 20 Minuten, entdeckt am 26.1.2011:

Anzeige «Bon App.» für Schweizer Fleisch

Anzeige «Bon App.» für Schweizer Fleisch

Es stellt sich die Frage, ob den Titel «Bon App.» auch alle – insbesondere jüngere – Leute verstehen, denn persönlich empfinde ich den französischen Ausdruck Bon App, die Kurzform von Bon appétit, nicht gerade als modern.

Appetit auf Statistik?

Wie gebräuchlich Begriffe in der Literatur sind oder waren, lässt sich seit kurzer Zeit mit dem Ngram Viewer von Google prüfen. Die Popularitätskurven für «Bon App» und «bon appétit» erweisen sich als identisch und verlaufen konstant flach in der Höhe von 0,00000000% des Untersuchungskorpus mit der Spracheinstellung «German». Man beachte die Präzision der Angabe mit 8 Stellen hinter dem Komma, wenn ich richtig gezählt habe. Die Vergleichskurve für «Guten Appetit» ist hingegen aufschlussreich, die kulinarische Literatur (oder ist es der Anstand?) scheint in den letzten gut 30 Jahren einen regelrechten Boom zu erleben.

Vergleich der Verwendung von Bon Appetit bzw. Guten Appetit

Bon Appetit: in der Literatur nicht statistisch relevant.

Im Französischen dagegen ist ein Niedergang des Ausdrucks «bon appétit» zu beobachten, der innert knapp 200 Jahren rund 50% einbüsst und bei 0,00002 Prozent landet. Andererseits ist das immer noch mehr als doppelt so viel wie der deutsche Wert nach dem Aufschwung. Und was sagt uns das? Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Was aber sicher gilt: Fressen kommt vor der Moral. En Guete!

Hier noch der ursprüngliche Tweet:
Übrigens: Es heisst «der App» bzw. «l’App» – ob das auch alle Leute verstehen? http://is.gd/DM4xEi http://twitpic.com/3ttsss